Bürgerhospital Frankfurt Diabetologie
Diabetes: „Die notwendige Akzeptanz fehlt weiterhin'
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Von: Barbara Schmidt
Anmerkungen
Christian-Dominik Möller ist der Leiter der Diabetologie im Frankfurter Bürgerhospital, welches als eines der führenden Krankenhäuser bei Diabetes gilt. Im Interview redet er über innovative Behandlungsmethoden und darüber, was Sie auf keinen Fall tun sollten, wenn Sie ein Leben ohne Diabetes anstreben.
Herr Möller, die Klinik für Diabetologie und Ernährungsmedizin am Bürgerhospital wird künftig eines von lediglich 15 stationären Diabetes-Exzellenzzentren in der BRD sein. Was hat zu dieser Ehrung geführt?
Eine sehr gute Versorgung von Diabetes Mellitus über viele Jahre hinweg sowie ein Zertifizierungsmodell der Deutschen Diabetes Gesellschaft, welches ebenfalls eine Qualitätsüberprüfung beinhaltet und dabei nicht nur eine Struktur- und Personalqualität, sondern ebenfalls die Ergebnisqualität der Therapie darstellt.
Welche weiteren Ebenen existieren?
Es existiert das Krankenhaus-Prädikat „für Diabetiker geeignet', für welches eine diabetische Basiskompetenz die Bedingung ist. Weiterhin gibt es Diabetes-Zentren, welche eine bestimmte Anzahl an Personal und Patientenfällen aufzeigen, was auch einer Kontrolle unterliegt. Eine weitere Steigerung ist das Diabetes-Zentrum mit einem typisch-diabetischen Qualitätsmanagement-System. Bei dieser Ebene wird zusätzlich die Ergebnisqualität der Behandlung kontrolliert und das zudem über einen gewissen Zeitraum der Behandlung hinweg. Hierbei wird geschaut: Hat es etwas gebracht? Die Zertifizierung als Exzellenzzentrum erfolgt durch ein Audit der Diabetesgesellschaft. Wer diese erhält, spielt in der obersten Liga mit.
Diabetes ist zwar unheilbar, dennoch werden die Behandlungsmöglichkeiten dank digitaler Technologie immer besser. Was ist hierbei das Revolutionäre?
So, wie sich Frankfurt innerhalb von 200 Jahren verändert hat, so hat sich ebenfalls unsere Auffassung von Diabetes in dieser Periode gewandelt, weg von: Ich teste den Urin mit meinem Mund und erkenne, wenn dieser süß ist, hat jemand Diabetes, hin zu Hightech mit Telematik und zahlreichen neuen therapeutischen Vorgehensweisen. Heutzutage kann ich auf dem Tablet in Echtzeit Zuckerwerte verfolgen.
Ist das heutzutage Standard?
Wir betreuen ambulant ungefähr 300 Typ-1-Diabetiker fortlaufend und inzwischen hat fast jeder einen Sensor. Die Typ-1-Diabetiker werden hierbei oft mit Insulin-Pumpen therapiert, welche außen am Körper angebracht sind und zunehmend selbstständig Insulin abgeben, in der über einen Algorithmus berechneten, empfohlenen Dosierung. Lediglich beim Essen und in speziellen Situationen muss der Patient dann noch selbst eingreifen. Dies ist vergleichbar mit dem Flugzeug beim Autopiloten: Wenn unerwartet ein Gewitter aufzieht, muss der Pilot eigenhändig steuern.
Kommen alle Patienten damit in gleichem Maße gut damit klar?
Manche mögen es nicht, stets einen Sensor und eine Pumpe mit sich zu führen. Man erkennt dann direkt, insbesondere im Sommer: Ah, dies ist ein Mensch mit Diabetes. Dass manche sich stigmatisiert fühlen, kann ich nachvollziehen, insbesondere, da etliche Mitmenschen noch immer nicht selbstverständlich mit Diabetes umgehen. Hier mangelt es weiterhin an der notwendigen Akzeptanz. Eine verbesserte Qualität der Einstellung spricht aber natürlich deutlich für die modernen Methoden.
Das bedeutet, hiermit ist der Patient auf lange Sicht gesehen ebenso besser behandelt?
Die Technologie ermöglicht es uns, Ausreißer beim Blutzucker zu reduzieren. Und je stabiler die See, desto besser fährt das Schiff. (Lächelt) Dies ist mittlerweile auch ein Teil unserer Aufgabe: Zu wissen, welche Pumpen existieren, mit welchen Sensoren, welcher Algorithmus steckt dahinter… Das Berufsbild der Diabetesberaterin befindet sich gerade ebenfalls im Wandel, weg von einer vorwiegend sprechenden Medizin hin zu einer zunehmend technologischen Beratung.
Eine ganz simple Frage: Was passiert, wenn der Akku leer ist?
Die Pumpe signalisiert dies rechtzeitig. Viele, besonders junge Menschen, verlassen sich dennoch sehr auf die Technik. Wir haben momentan einen Patienten, welcher mit seiner Familie mit dem Rucksack in Thailand unterwegs ist und seine Pumpe verloren hat. Dann müssen sie sich Pens und Nadeln organisieren und wissen, wie sie das Insulin in welcher Dosierung anwenden. Dies wissen viele überhaupt nicht mehr, da bei den Pumpen die Dosierungen vorprogrammiert sind. Sie geben beinahe fortlaufend Insulin ab, und dies kommt dem, was normalerweise die Bauchspeicheldrüse macht, sehr nah. Im Großen und Ganzen vereinfacht die sensorgesteuerte Pumpentherapie das Leben, da sie eine Art Sicherheitsnetz unter den Patienten ausbreitet.
Das bedeutet, Diabetes-Patienten kommen mithilfe von Technologie heutzutage einfacher mit der Erkrankung zurecht?
Manche meinen, man klebt das Ding an, und von da an ist alles kinderleicht und man benötigt lediglich ein Call-Center, welches einen gelegentlich anruft. Dies ist natürlich nicht der Fall. Diabetes ist weiterhin eine einschneidende, lebensverändernde Krankheit, welche den Menschen herausfordert. Und wenn sie mit der Situation nicht zurechtkommen, ist das ebenfalls ein Grund für eine klinische Behandlung. Beispielsweise, wenn die Akzeptanz der Krankheit fehlt oder die Patienten eine Depression entwickeln. Aus diesem Grund ist unsere Psychologin ein äußerst wichtiges Teammitglied.
Wie viele Menschen sind inzwischen von Diabetes betroffen?
Wir sprechen momentan von ungefähr acht bis neun Millionen Diabetikern in Deutschland, jeder zehnte Mensch ist betroffen, die Mehrheit mit zunehmendem Alter von Typ-2-Diabetes. Jedoch sollte man die vielen hunderttausend oft jungen Menschen mit immunogenem Diabetes Typ 1 und einem wesentlich höheren Betreuungsaufwand hierbei nicht vergessen.
Wäre es nicht ratsam, alle Menschen ab einem bestimmten Alter auf die gesundheitlichen Risiken Bluthochdruck und ebenso Diabetes zu testen, um schneller gegensteuern zu können?
Definitiv. Es würde schon genügen, ausschließlich den Blutzucker-Langzeitwert zu bestimmen, den HbA1c-Wert. Hiermit kann man erkennen, ob jemand in den vergangenen Wochen ungewöhnliche Blutzuckerwerte hatte - und Betroffene ausfindig machen, welche von ihrem Diabetes noch nichts ahnen. Denn wenn man frühzeitig interveniert, kann man immer frühzeitig eine Verbesserung erzielen.
Diabetologie am Bürgerhospital
Seit 2005 existiert am Bürgerhospital die Klinik für Diabetologie, welche eng mit der Geburtshilfe in Fragen von Schwangerschafts-Diabetes kooperiert. Pro Jahr werden fast 700 Patientinnen mit dieser Komplikation versorgt. Als Kernkompetenz seiner Klinik benennt Chefarzt Christian-Dominik Möller dennoch das Diabetische Fußsyndrom, bei welchem moderne Wundbehandlungsverfahren wie beispielsweise die Kaltplasmatherapie zur Anwendung gelangen. Stationär werden in der Klinik am Bürgerhospital pro Jahr insgesamt beinahe 1000 Patienten behandelt.